Schwellenangst

Ein entscheidender Begleiter durch Nepal ist nicht meine Schweizer Schokolade, die schon so manchen Nepali glücklich gemacht hat, sondern meine Schwellenangst. Die Angst also eine Grenze, eine Tür, eine unsichtbare Linie – eben eine Schwelle zu übertreten. Die Furcht davor auf jemanden zuzugehen, sich in ein unter Umständen komplexes Gespräch zu verwickeln. Es soll jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass ich eingeschüchtert vom in Nepal allgegenwärtigen Hupen und seinen chaotischen Strassen hilflos durch die Gegend ziehe und niemanden anzusprechen wage (mal abgesehen von der Tatsache, dass man hier sowieso ständig angesprochen und um Selfies gebeten wird). Vielmehr ist die Schwellenangst eine gute Bekannte, die mir schon oft einen Strich durch die Rechnung gezogen hat. Mir aber natürlich genauso oft ganz Neues ermöglichte.

So wollte ich Nepal von anderen Seiten kennenlernen, neue Orte besuchen, unbekanntes entdecken. Speziell wollte ich auch – aus Recherchezwecken – den Honig der Gurung, der halluzinogene Wirkungen haben soll, ausfindig machen. Oder Bungee-Jumping in Indien ausprobieren. Meine Zeit an ruhigen und verlassenen Orten zum Schreiben nutzen. Oder Nepali lernen. Mit Mönchen meditieren und hinduistischen Zeremonien beiwohnen. Oder einfach nur durch die Strassen ziehen und Geschenke kaufen (von Filz-SchluffiPuffis bis Gebetsfahnen, gibt es da eine lange Liste). Das alles und noch viel mehr hatte ich vor. Und bin natürlich immer wieder an meinen Plänen gescheitert.

Nicht, dass ich nichts besonderes erlebt habe. Während ich diese Zeilen schrieb (aber wirklich nur einige dieser Zeilen – meine Prosaumsatz ist recht bescheiden), lag ich in Markhu, einem verschlafen Nest irgendwo im nepalesischen Nirgendwo, das bei den Nepalis offenbar als Party-Oase bekannt ist. Während ich fleissig (naja) schrieb, sass eine Gruppe junger Nepalis Draussen und hört sich (vorzüglich nepalesische) Popsongs an. Von irgendwo dröhnte der Gesang einer anderen Gruppe. Mit der dritten ass ich mein Abendessen, trank Raksi (Hirseschnaps aus Nepal), und lernte Nepali-Slang. Untergebracht waren wir in einer Art Hotel bei einer Familie, die auch für uns kochte. Ein durchwegs authentisches Erlebnis also – mit dem ich gleich einige Häkchen in meiner schier endlosen Liste setzen kann.

Wieso bin ich dennoch mit meinen Plänen gescheitert? Ganz einfach, weil es keinen Sinn macht, Pläne für einen solchen Trip zu schmieden – und schon gar nicht solch ausführliche und enge. Dies würde ein weiser Mensch sagen. In meiner Naivität (leider bin ich nicht so weise wie Buddha, in einem Tempel zu dessen Ehren ich mittlerweile gelandet bin) wage ich es, die Schuld auf eine alte Bekannte zu schieben – meine Schwellenangst. Gerade bei meiner Geschenketour hat sich gezeigt, wie viel Verzögerung diese Begleiterin mit sich bringt – und wieviel Neues sich daraus ergibt. So hat mich mein Zögern beim Kauf von nepalesischem Kaffee letztendlich in ein grossartiges Lokal verschlagen, das ich nicht nur mit Kaffee aus dem Himalaya sondern auch mit feinstem Tee, den ich ausführlich degustieren konnte, verliess. Genau diese Verzögerung führte denn auch dazu, dass ich anstelle eines Touristenbuses einen ganz normalen Otto-Normal(oder mit was auch immer sie hier ihre Luft verpesten)-Verbraucher-Bus nehmen musste – was mir wieder eine Reihe toller Bekanntschaften bescherte. Aber auch wenn die nette Gruppe von vier Indern und einer Belgierin, mit der ich eine tolle Zeit hier am Geburtsort des weisen Buddha verbracht habe, mich schon wieder verlassen hat – so werde ich mir dank ihnen mal wieder meiner Hass-Liebe zu meiner guten alten Begleiterin bewusst. So hoffe ich, dass mich meine Schwellenangst nicht vor dem Übertreten der Indischen Grenze fernhält. Und wenn doch – es kommt bestimmt was Neues, Urwartetes, Unbeschreibliches.