Asperger

Als Kind wurde ich oft (mehrere Jahre lang bis mehrmals die Woche) von Mitschülern verprügelt, über diese lange Dauer führte dies zu einem schweren Gewalt-Trauma, das das Vorstellungsvermögen übersteigt.

Die Lehrpersonen kümmerte es nicht, damals war die antiautoritäre Welle voll am Rollen: “die sollen das unter sich regeln, als Erwachsene wird später auch niemand eingreifen”.

Leider steckten auch meine Eltern den Kopf in den Sand (die klassische Realitätsverweigerung), und weil sie mich immer unter Druck setzten, fleissig zu sein, schaffte ich trotz Auffälligkeiten die Matur. Das ist ungewöhnlich, denn solche Probleme verursachen sonst bei massive Schulprobleme. So suchte ich erst als 17-jähriger in eine Therapie auf, was sehr spät ist.

Asperger wird von den Betroffenen oft versteckt, es ist ein Tabu Thema. Das gilt vor allem bei Arbeitgebern, denen Menschen mit psychischen Problemen ein Horror ist. In der Tat können diese massiven Ärger und Kosten verursachen, dies trifft bei mir jedoch nicht zu. Ich selber kann es leider nicht allzu sehr verstecken, weil ich ein bisschen eigen bin, und seit 15 Jahren ohne Arbeit. Das ist verhängnisvoll, weil so Arbeitgeber nicht erfahren, dass die meisten Asperger ganz normal arbeiten können, mit kaum mehr Rücksicht als andere. Eine Behinderung (ich bin deswegen IV-Rentner) sollte das eigentlich nicht sein.

Um mich sinnvollerweise zu beschäftigen, repariere ich alte Velos in meiner eigens gegründeten Velowerkstatt, und verkaufe sie dann an Velobörsen. Bei meiner Bildung (Maschineningenieur und technischer Übersetzer) wäre eine geschützte Werkstatt langweilig. An den Velobörsen treffe ich verschiedenste Menschen. Das war deshalb ein gutes Übungsfeld um zu lernen, auf Leute einzugehen. Meine Leidenschaft für Maschinen und Technik wird nicht als Krankheit empfunden, auch nicht meine anschauliche Art, sie zu erklären. Inzwischen verdiene ich den IV-Status nicht mehr, aber als 52-jähriger ist leider beruflich der Zug abgefahren.

Das Velo hat einen Vorteil: Es ist alles sichtbar, so kann man es leicht erklären. Das ist wichtig, weil die meisten Leute keine Ahnung von Wissenschaft und Technik haben. Deswegen sind sie aber nicht krank, denn man kann ja nicht jeder alles gleich gut können. Aber ich soll natürlich krank sein, weil ich nicht ganz so gut auf Menschen eingehe wie andere, aber dafür technisch begabt bin? Wie passt das zusammen?

Früher hatte ich sehr Mühe, anhand von Stimmlage und Mimik zu erkennen, dass mein es meinem Gegenüber peinlich war, oder andere nonverbale Signale zu deuten. Das klappt inzwischen nicht schlecht.

Aber eine grundsätzliche Überlegung kann man sich da schon stellen: Wieso ist das überhaupt nötig? Wäre es nicht besser, sich klar und deutlich verbal zu äussern, anstatt sich zu schämen, etwas Unangenehmes zu anzusprechen? Je mehr eine Kultur in der Kommunikation Scham und Averbales zulässt, desto mehr Asperger werden diagnostiziert…

Heute weiss ich auch, was Tabuthemen sind, die man besser vorsichtig oder gar nicht anspricht. Früher machte ich primitive Sexwitze, heute kann der/diejenige, über die ich mich lustig mache, mitlachen. Auch hier kann man sich fragen, wieso man nicht auch zu diesem Thema lustig sein darf. Die heutige Hatz auf Missbrauch treibt leider dubiose Blüten. Ist nicht eher derjenige sexuell verkorkst, der jeden Sexwitz verurteilt?

Menschen, die ich von früher kenne, gehen mir noch heute aus dem Weg, weil sie Angst haben mit meinem vergangenen Trauma konfrontiert zu werden. Es überfordert das Vorstellungsvermögen des 08/15-Bürgers. Dass ich mich verändert habe, kann ich nicht immer klar machen. Dann mache ich auch Schluss mit dieser Person, denn dieses Kapitel meines Lebens ist vorüber und nicht mehr zu ändern. Die meisten Leute, die mich jetzt kennenlernen, kommen jedenfalls nicht auf die Idee, in mir einen Kranken zu sehen.