Der verschwundene Freund

Schwarze Ball Maske

Ruedi habe ich am Stammtisch im Migros-Restaurant kennengelernt. Mit den Jahren entwickelte sich ein tiefgründige und freundschaftliche Beziehung. Für mich als Ostschweizer eher erstaunlich – mein Eindruck war, dass Basler*innen eher verschlossen sind. Mit ihm konnte ich mich auch tiefgründig Austauschen und intellektuelle Gespräche führen. Wir haben uns sicher über fünf Jahre regelmässig, beinah täglich getroffen.

Er war der Ruhige und Schweigsame, ich eher der Gesprächige.

Auf einmal ist er nicht mehr aufgetaucht. Ein paar Tage später habe ich in der Zeitung gelesen, dass er verstorben sei. Als 60–Jähriger kam der Todesfall für mich sehr überraschend.

Ein Jahr später suchte mich seine Ex-Freundin, die selten mit am Stammtisch sass, auf und bat mich mit ihr an einenruhigeren Ort zu sitzen. Sie erzählte mir, dass Ruedi an Prostata-Krebs gestorben ist. Sie hatte das Gefühl sie müsse es mir sagen auch wenn es ihr unwohl sei, etwas zu tun, dass Ruedi selbst hätte tun sollen.

Mir ist klar, dass Ruedi sich schämte, doch einem guten Freunden kann dies ja erzählt werden. Falls ich eine lebensbedrohliche Krankheit hätte würde ich es meinen intimen Freunden erzählen. Ich zählte Ruedi zu denen – durch sein Schweigen fühle ich in mir und in unserer Beziehung eine Verletzung.

Plötzlich habe ich den Eindruck, ihn sehr wenig gekannt zu haben und dass er verschiedene Masken, wie an einem Maskenball trug…

Wieso hatte er so fest Berührungsängste mit dem Austausch über diese Krankheit? Wieso ist die Scham über eine Krankheit wie Krebs zu sprechen so gross?